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„Schichtwechsel“: Sozialdezernent Karsten Groß näht Sicherheitsgurte – WfB-Mitarbeiterin erlebt Kita-Alltag


Es ist kurz vor 8 Uhr, als Karsten Groß (Erster Stadtrat und Sozialdezernent) die Werkstatt für Behinderte (WfB Rhein-Main e.V.) in Mörfelden betritt. Heute ist er nicht zu Besuch, sondern wird selbst mitarbeiten. Denn er beteiligt sich als Vertreter der Stadt Mörfelden-Walldorf an der bundesweiten Aktion „Schichtwechsel“ der Bundesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten (BAG WfbM). Hier tauschen Menschen mit und ohne Beeinträchtigung für einen Tag ihre Tätigkeit. Während Groß Sicherheitsgurte für Frachtflugzeuge nähen soll, erhält die WfB-Mitarbeiterin Hilal die Gelegenheit, den Alltag in der Kindertagesstätte I Treburer Straße in Walldorf kennenzulernen.

„Schichtwechsel“ ist mehr als nur ein Austausch: Es bietet WfB-Mitarbeiter:innen die Möglichkeit, neue Arbeitswelten zu erleben. Auch Vorurteile gegenüber Menschen mit Beeinträchtigung sollen ausgeräumt werden. Ziel ist die Integration in den normalen Arbeitsmarkt. „Für uns geht es darum, dass die Beschäftigten nicht nur in unserer Werkstatt wertvolle Arbeit leisten und gefördert werden, sondern auch die Chance bekommen, neue Erfahrungen zu sammeln und bestenfalls übernommen zu werden“, erklärt Werkstattleiter Markus Milz.

Ein halber Tag an der Nähmaschine

Nach dem morgendlichen Meeting wird Karsten Groß von Oliver Klein (Gruppenleiter in der Näherei) durch die Werkstatt geführt. Maschinen für die Produktion wurden teils selbst gebaut. „Da sind wir wie Daniel Düsentrieb und tüfteln für Lösungen“, sagt Klein lachend. Groß erfährt, dass es 120 Beschäftigte in verschiedenen Arbeitsbereichen der Werkstatt gibt. Die Näherei fertigt im Schnitt 1.000 Gurte zur Frachtsicherung in Flugzeugen in der Woche. Aber nicht nur sie werden in Mörfelden genäht, auch Hundeleinen sind aktuell ein beliebtes Produkt. Zudem wird vieles konfektioniert oder recycelt.

„Das Hauptaugenmerk liegt auf Interessen und Fähigkeiten der Einzelnen, also was am besten zur jeweiligen Person passt. Die Arbeit kommt zum Menschen, ist personenzentriert“, sagt Klein.

In der Werkstatt führt Alexander, ein langjähriger Beschäftigter, Karsten Groß in die Kunst des Nähens von Sicherungsgurten ein. Mit ruhiger Hand zeigt er ihm, wie die Nähmaschine funktioniert. Nach einigen Versuchen läuft das Band endlich glatt unter der Nadel, und der erste Sicherheitsgurt ist fertig. „Es erfordert viel Konzentration und Geduld, es ist wirklich anspruchsvoll und anstrengend, denn Motorik und Genauigkeit sind gefragt – Augen und Hände müssen harmonieren“, stellt Groß fest. Durch Anleitung und Tipps von Alexander werden die Ergebnisse immer besser und es geht leichter von der Hand. „Und doch bleibt jeder Gurt eine Herausforderung für mich“, räumt Karsten Groß ein.

Neue Perspektiven im Kita-Alltag

Während der Erste Stadtrat in der Werkstatt fleißig näht, erlebt Hilal den Kita-Alltag der Kita I Treburer Straße. Es ist eine ganz neue Umgebung mit vielen Eindrücken. Der Tag startet mit freudigem Trubel im Flur, denn einige Kinder nehmen an einem Ausflug zum Frankfurter Flughafen teil. Hilal bleibt mit den anderen Kindern in der Kita. Nach einer Führung durchs Haus, malt sie mit einigen Kindern gemeinsam und begleitet das Frühstück. Auch am gemeinsamen Mittagessen nimmt sie teil. „Der Tag hat mir sehr gut gefallen“, sagt Hilal und lächelt.

Inklusion ist ein wichtiger Teil der pädagogischen Arbeit in den städtischen Kitas. „Für uns ist es selbstverständlich, Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen in unseren Alltag einzubeziehen. Inklusion wird bei uns gelebt – Kinder lernen von Anfang an, dass jeder Mensch auf seine Weise wertvoll ist und mit offenen Armen empfangen wird“, sagt Erzieherin und stellvertretende Leitung Annika Reiß. Denn man lerne voneinander und entdecke viel Neues.

Inklusion in allen Bereichen

Das Projekt bietet den Werkstatt-Mitarbeitenden die Chance, in eine neue Welt einzutauchen – sei es in einer Kita, in einem Büro oder an einem anderen Ort, den sie durch den „Schichtwechsel“ kennenlernen. Für viele von ihnen ist es eine Abwechslung und Erweiterung ihrer persönlichen und beruflichen Erfahrungen. „Die Beschäftigten freuen sich darauf, wenn sie etwas Neues ausprobieren können“, betont Klein. „Es gibt ihnen Selbstvertrauen und zeigt ihnen, dass sie auch außerhalb der Werkstatt wertvolle Fähigkeiten einbringen können.“

Am Ende des halben Tages hat Groß rund 40 Gurte in vier Stunden genäht. Es sind aber nicht nur die wenigen genähten Sicherheitsgurte für Frachtflugzeuge oder die interessiert geleisteten Stunden in der Kita, die zählen. Es sind die Begegnungen, das Lernen voneinander und das Erleben von Gemeinschaft, das den „Schichtwechsel“ so besonders macht.

Groß fasst den Tag zusammen: „Es war ein Tag, der gezeigt hat, dass wir an vielen verschiedenen Stellen alle voneinander profitieren können – ob mit oder ohne Beeinträchtigung. Inklusion bedeutet, dass wir gemeinsam wachsen und uns gegenseitig unterstützen.“

Für die Teilnehmer:innen des „Schichtwechsel“ bleibt dieser Tag sicher in Erinnerung – als ein Moment, der neue Perspektiven eröffnete und zeigte, wie einfach es sein kann, über sich hinauszuwachsen – in einer Kita oder eben an der Nähmaschine.

Sieben Firmen und Institutionen aus dem Kreis Groß-Gerau haben sich diesmal an dieser bundesweiten Aktion beteiligt. Es gab insgesamt 15 Teilnehmer:innen aus dem Kreis Groß-Gerau. Fünf Beschäftigte aus den drei Werkstätten der WfB Rhein-main e.V. konnten an diesem Tag wechseln.